Abteilung Klinische Psychologie der Universität Mainz

 

Zusammenhang zwischen Medienkonsum, sozialen Vergleichsprozessen und Essstörungen

 

Fragestellung und Methode

Mehrere Studien belegen, dass die Medien einen Einfluss auf die Entstehung von Essstörungen ausüben. Hierbei spielt vor allem das in den Medien vermittelte Schlankheitsideal eine große Rolle. Viele Frauen vergleichen sich mit den Models aus Zeitschriften und Fernsehen und fühlen sich danach dick und unattraktiv, weil sie nicht diesem Ideal entsprechen. Versuche, dieses Ideal zu erreichen, führen oft zu ungesunden Ernährungsweisen und können der Anfang einer Essstörung sein.
Inwieweit ein Zusammenhang zwischen Art und Ausmaß des Medienkonsums und Essstörungen besteht, war Thema der vorliegenden Studie. Hierzu lagen zum größten Teil Studien vor, die an nicht klinischen Stichproben erhoben wurden. Insofern sollten in dieser Arbeit (a) Frauen mit Essstörungen, Frauen ohne Essstörungen und solche mit subklinischen Symptomen (Symptome sind nicht so stark ausgeprägt, dass eine Diagnose gestellt wird), auf eventuell vorhandene Unterschiede bezüglich sozialer Vergleichsprozesse und Medienkonsum untersucht werden. Weiterhin sollten (b) speziell an Frauen mit Essstörungen die Zusammenhänge zwischen Medienkonsum, sozialen Vergleichs-prozessen und Essstörungen überprüft werden.

Insgesamt haben an dieser nur Online durchgeführten Studie 181 Frauen mit Bulimia nervosa, 105 Frauen mit Anorexia nervosa, 26 Frauen mit „Binge-Eating“-Störung, 24 Frauen mit subklinischen Symptomen und 105 Frauen ohne Essstörungen/Kontrollgruppe teilgenommen. Der Altersdurchschnitt zwischen den Gruppen war recht unterschiedlich (siehe Abbildung 1).


 

Als Messinstrumente dienten die „Physical Appearance Comparison Scale“ (PACS), ein Fragebogen der misst, inwiefern eine Person die Tendenz hat, ihr körperliches Aussehen mit anderen zu vergleichen. Weiterhin die „Body Comparison Scale” (BCS), welche die Tendenz einer Person erfasst, bestimmte Körperteile mit anderen zu vergleichen sowie allgemeine Vergleiche bezüglich des Aussehens zu machen. Ebenso fand die “Comparison to Models Survey” ihre Anwendung. Dieser Fragebogen misst die Häufigkeit, mit der sich Personen mit Models bezüglich acht Attributen wie beispielsweise „Körperliches Aussehen“ vergleichen. Ein weiterer Fragebogen war der „SIBID-Vergleiche“, der in Anlehnung an das „Situational Inventory of Body-Image Dysphoria“ (SIBID) erstellt wurde. Der „SIBID-Vergleiche“ misst, inwiefern Personen negative Gefühle in bestimmten Situationen haben, wenn sie sich mit anderen vergleichen. Zuletzt wurde sich eines Fragebogens zum Medienkonsum bedient, welcher Art und Ausmaß der Medienkonsums erfasst.

 

Ergebnisse

Häufigkeit und Art der Sendungen

(a) Alle Gruppen (Essstörungsgruppen, Subklinische Gruppe, Kontrollgruppe) hatten einen ähnlichen Fernsehkonsum, d.h. dass sich die Anzahl der Fernsehstunden pro Woche zwischen den Gruppen nicht unterschied. In Bezug auf das Schauen von Soap Operas zeigte sich, dass Frauen mit einer Bulimia nervosa im Durchschnitt diese Sendungen häufiger sahen als Frauen der Kontrollgruppe. Dieser Unterschied kam jedoch deshalb zustande, da Frauen mit Bulimia nervosa bedeutend jünger waren als die Kontrollgruppe und jüngere Personen häufiger Soap Operas sahen als ältere. Hinsichtlich des Schauens von Musikvideos wurde deutlich, dass Frauen mit Anorexia nervosa und Bulimia nervosa diese Sendungen signifikant häufiger sahen als Frauen ohne Essstörungen. Auch hier war der Unterschied teilweise darauf zurückzuführen, dass Frauen mit Anorexia und Bulimia nervosa bedeutend jünger waren als die Kontrollgruppe und jüngere Personen generell mehr Musikvideos sahen als ältere Personen.

Häufigkeit und Art der Zeitschriften

Bezüglich der Häufigkeit des Zeitschriftenkonsums zeigte sich, dass Frauen mit Anorexia und Bulimia nervosa bedeutend häufiger Zeitschriften lasen als Frauen ohne Essstörungen. Ferner, dass Frauen mit Anorexia nervosa häufiger Zeitschriften lasen als Frauen mit „Binge-Eating“-Störung. Betrachtete man das Lesen von Mode-/Frauenzeitschriften sowie Fitnesszeitschriften, so wurde deutlich, dass Frauen mit Anorexia und Bulimia nervosa diese Zeitschriften beachtlich häufiger lasen als die Kontrollgruppe.

Häufigkeit von Vergleichen mit anderen Frauen

Weiterhin wurde deutlich, dass Frauen mit Essstörungen wesentlich häufiger als die Frauen ohne Essstörung dazu neigten, bestimmte Körperteile sowie ihr gesamtes Aussehen mit anderen Frauen zu vergleichen. Frauen der Subklinischen Gruppe verglichen dabei häufiger bestimmte Körperteile mit anderen Frauen als die Kontrollgruppe und Frauen mit Anorexia und Bulimia nervosa verglichen signifikant häufiger ihr gesamtes Erscheinungsbild als die Subklinische Gruppe.

Die dargestellten Ergebnisse zu den Vergleichsprozessen sind in Abbildung 2 als Mittelwerte des Fragebogens BCS (Vergleiche bezogen auf bestimmte Körperteile) getrennt nach Gruppen dargestellt

 

 

Die dargestellten Ergebnisse zu den Vergleichsprozessen sind in Abbildung 3 als Mittelwerte des Fragebogens PACS (Vergleiche bezogen auf die gesamte Erscheinung) getrennt nach Gruppen dargestellt

 

 

Alle Essstörungsgruppen verglichen sich signifikant häufiger mit Models aus Fernsehen und Zeitschriften als die Kontrollgruppe. Ebenso verglichen sich Frauen mit subklinischen Symptomen häufiger mit Models als die Kontrollgruppe und Frauen mit Anorexia nervosa verglichen sich häufiger mit Models als die Subklinische Gruppe. Diese Ergebnisse sind in Abbildung 4 getrennt nach Gruppen dargestellt.

 

 

Im Hinblick auf das Empfinden negativer Gefühle nach Vergleichen mit anderen Frauen, zeigte sich, dass alle Essstörungsgruppen bedeutend häufiger negative Gefühle angaben als die Kontrollgruppe. Frauen mit subklinischen Symptomen zeigten ebenfalls mehr negative Gefühle als die Kontrollgruppe. Weiterhin zeigten Frauen mit Anorexia und Bulimia nervosa häufiger negative Gefühle als die Subklinische Gruppe. Diese Ergebnisse wurden mit dem Fragebogen SIBID-Vergleiche erhoben, Mittelwerte des Fragebogens sind in Abbildung 5 getrennt nach den Gruppen dargestellt:

 


Zusammenhang zwischen Essstörungen und Medienkonsum

(b) In Bezug auf das Medium Fernsehen und dem Schauen von Soap Operas und Musikvideos, zeigten sich keine bis nur sehr geringe Zusammenhänge mit den Vergleichsskalen. Die höchsten Zusammenhänge fanden sich zwischen dem Schauen von Musikvideos und der „Physical Appearance Comparison Scale“.
In Bezug auf das Medium Zeitschriften und dem Lesen von Mode-/Frauenzeitschriften und Fitnesszeitschriften, ließen sich nur geringe Zusammenhänge mit den Vergleichsskalen finden. Hierbei lagen die höchsten Zusammenhänge zwischen dem Lesen von Mode-/Frauenzeitschriften und der „Physical Appearance Comparison Scale“ sowie zwischen dem Lesen von Fitnesszeitschriften und der „Body Comparison Scale“.
Zwischen den Vergleichsskalen und den Essstörungssymptomen gab es sehr geringe bis mittlere Zusammenhänge. Die mittleren Zusammenhänge zeigten sich zwischen den Vergleichsskalen und Essstörungssymptomen wie „Schlank sein wollen“ und „Mit seinem Körper unzufrieden sein“.
Betrachtete man den Zusammenhang zwischen dem Schauen von Soap Operas, Musikvideos und Essstörungssymptomen, so ergaben sich keine bis nur sehr geringe Zusammenhänge. Die höchsten Zusammenhänge zeigten sich zwischen dem Schauen von Soap Operas und dem Essstörungs-symptom „Schlank sein wollen“.
Es zeigten sich keine bis nur sehr geringe Zusammenhänge zwischen dem Lesen von Mode-/ Frauenzeitschriften, Fitnesszeitschriften und Essstörungssymptomen wie „Schlank sein wollen“ und „Erbrechen“. Das Lesen von Mode-/Frauenzeitschriften stand in keinem Zusammenhang mit Essstörungssymptomen, während das Lesen von Fitnesszeitschriften einen geringen Zusammenhang mit Essstörungssymptomen wie „Schlank sein wollen“ und „Mit seinem Körper unzufrieden sein“ aufwies.

Fazit

Es scheint, dass es einen höheren Konsum von schlankheitsbetonten Medien (besonders Zeitschriften) bei Frauen mit Essstörungen gibt. Es zeigte sich außerdem die Neigung, zu vermehrten Vergleichen mit anderen Frauen. Aus diesen Vergleichen resultierten vermehrt negative Gefühle, so dass anzunehmen ist, dass Vergleiche auch zu einer erhöhten körperlichen Unzufriedenheit beitragen. Therapeutische Interventionen sollten daher eine kritische Beleuchtung der Medien und des von ihnen vermittelten gesellschaftlichen Ideals in die Behandlung einbeziehen und die Neigung zu Vergleichen mit anderen thematisieren. Die Ergebnisse weisen zudem darauf hin, dass es weitere Einflussfaktoren gibt, die den Medienkonsum und das Ausmaß an Vergleichen beeinflussen könnten. Ein möglicher Faktor könnte die Identifikation („Internalisierung“) des Schlankheitsideals sein. Es bedarf allerdings weiterer Forschung, um dies zu klären.

Leitung: Dr. Tanja Legenbauer
Durchführung: Natascha Ivanov