von Diplom-Psychologin Katja
Februar 2004


Adipositas und Binge Eating Disorder

Einleitung: Zum Thema „Ess-Sucht", welches ich im folgenden Beitrag gerne in die beiden o.g. Gebiete „Adipositas" und „Binge Eating Disorder" einteilen möchte, muss ich vorneweg sagen, dass über eben dieses Thema zwar unendlich viel bereits publiziert worden ist, letztendlich die „ESS-SUCHT" genauso wenig greifbar und in einer kurzen Abhandlung beschreibbar ist, wie die Phänomene Magersucht und Bulimie.


Das fängt schon dabei an, dass in bestimmten Konzepten der Begriff „Ess-Sucht" auch gerade die Magersucht beinhaltet, was zunächst paradox klingen mag. Es wird verständlicher, wenn man bedenkt, das gerade Magersüchtige sich geradezu permanent mit dem Thema Essen beschäftigen, und gedanklich die Unmengen an Nahrungsmitteln vor ihrem geistigen Auge passieren lassen, welche von sogenannten „Esssüchtigen" tatsächlich verschlungen werden. Oder eine Magersüchtige bereitet für andere reichhaltige Mahlzeiten zu, welche sie sich selbst verweigert.

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In meiner Arbeit mit essgestörten Patienten begegnete mir erst unlängst ein junges Mädchen, stark untergewichtig, welche jedoch ständig über ihre „Ess-Sucht" klagte. Den Begriff Magersucht nutzte sie nicht, es machte ihr auch wenig aus, im Ess-Programm an der Klinik bestimmte Mengen einnehmen zu müssen und davon zumindest leicht zuzunehmen. Ihr Leidensdruck kam aus den ewig kreisenden Ess-Sucht-Gedanken, den quälenden Phantasien über gefüllte Kühlschränke und über all die Nahrungsmittel, die sie sich lange verboten hatte, und die sie am liebsten auf einmal zu sich genommen hätte, gleichzeitig mit der Vorstellung, niemals davon satt zu werden. Diese Gedanken hinderten sie oftmals daran, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, oder auch den Therapiegruppen in der Klinik gedanklich zu folgen. Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass „Ess-Sucht" nicht unbedingt etwas mit Über-Essen zu tun haben muss!! Und damit wären wir schon beim Thema: denn um was geht es eigentlich, wenn es nicht um Essen geht? Diese Frage werde ich nur peripher beantworten können, da ich zunächst einige „Fakten" bezüglich Adipositas und Binge  Eating

 

Disorder nennen möchte, welche das Phänomen betreffen. Literaturtipps dazu finden Sie in großer Menge auf der Bücherseite. Ich persönlich denke, dass für Übergewichtige auch die Bücher über Magersucht interessant sein können und umgekehrt, denn letztlich handelt es sich in den beiden Verhaltensweisen „Fressen" und „Fasten" lediglich um zwei Kehrseiten EINER Medaille. Die Grundthemen (bei welchen es meist um Weiblichkeit, Einsamkeit und Liebe geht) ist für fast alle Betroffenen gemeinsam, ebenso wie die Folgen der Erkrankung, welche nicht nur körperliche Schäden mit sich führt, sondern auch psychische „Nebenwirkungen" wie Depressionen, Ängste, Arbeitsunfähigkeit und soziale Isolierung nach sich zieht. Wie man sieht, das Thema „Ess-Sucht" könnte beliebig nach allen Richtungen weiter verzweigt werden. Ich beschränke mich im Folgenden allerdings lediglich auf das Erscheinungsbild, die körperlichen Aspekte und, andeutungsweise, auf einige Überlegungen „Ursachen" der Ess-Sucht (hier im Zusammenhang mit Übergewicht!).

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Mit folgenden Fragen setzen wir uns hier auseinander: Was ist das? Wer hat das? Was für Folgen hat das? Woher kommt das? Wie wird das behandelt?

Was ist Adipositas?

Bereits sehr früh (schon zu Zeiten des Hippokrates) wurde „Fettleibigkeit" als medizinische Gefahr erkannt. In anderen Zeiten hingegen galt Übergewicht als deutliches Statussymbol für Reichtum und Wohlhaben.

Rein wissenschaftlich betrachtet spricht man heute von Adipositas, sobald das Körpergewicht der betroffenen Person bei einem BMI von über 30 liegt (ab 24 spricht man von „Übergewicht"). Der BMI (Body Mass Index) berechnet sich aus dem Körpergewicht geteilt durch die Körpergröße in Metern zum Quadrat.

Also eigentlich keine sehr differenzierte Diagnose!

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Wie verbreitet ist Adipositas?

Die Antwort auf diese Frage variiert, wie immer, je nach Studie. Aber jede/r hat den Spruch schon einmal gehört: "unsere Kinder in Deutschland werden immer dicker...", „jeder vierte Deutsche hat Übergewicht..." etc. Klar ist jedoch, dass der Anteil an Frauen, welche eine Adipositas betrifft (und damit ist nicht nur das Übergewicht gemeint, sondern wirklich ein BMI von über 30), höher als der Anteil der Männer. Insgesamt schwanken die Werte des Gesamtanteils zwischen 10 und 25 %, was doch sehr viel ist, wenn man bedenkt, dass ein BMI von 30 (entspricht etwa einem Gewicht von 82 kg bei einer Körpergröße von 1,65 m) ja bereits ein massives Übergewicht bedeutet, und das Übergewicht im Rahmen des BMI von 24 (hier beginnt per definitionem das „Übergewicht") bis 30 ja noch nicht mit einbezogen ist!

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Woher kommt Adipositas?

Wie oben bereits erwähnt, ist es zu leicht gemacht, bei Adipositas einfach nur das Übergewicht nach einer bestimmten Tabelle zu betrachten. Vielmehr muss ganz genau im Einzelfall analysiert werden, WIE dieses Gewicht zustande kam, denn es kann vielerlei Ursachen dafür geben. Nicht immer geht es dabei nur um exzessive Nahrungszufuhr! Übergewicht kann auch medizinische Hintergründe haben (z.B. im Zusammenhang mit bestimmten Medikamenten auftreten), außerdem gibt es oftmals Ursachen in Psyche und Verhalten.

Ursache für Übergewicht ist u.a. gerade das Diäthalten, bzw. gezügeltes Essverhalten!!!

Ist das paradox? Nein!

Inzwischen ist sehr wohl bekannt, dass es bei fast jeder Diät, welche eine schnelle und möglichst hohe Gewichtsreduktion zum Ziel hat, zum sogenannten Jojo-Effekt kommt.

Das heißt, unser Körper reagiert so, wie er das bereits seit Tausenden von Jahren gelernt hat: sobald – scheinbar – eine „Hungersnot" eintritt, fängt er an, im Kalorienverbrauch zu sparen. Es wird einfach weniger Energie für dieselben Aktionen aufgewendet. Und daran gewöhnt sich der Körper auch so schnell es geht, denn er weiß ja nicht, für wie lange er „hamstern" muss! Und so viel ist klar: wenn es dann plötzlich wieder richtig viel zu essen gibt, dann muss erst recht gespart werden, für die nächste Notzeit. Also wird der „Überschuss" an Energie (denn man hat sich ja bereits an einen geringeren Bedarf gewöhnt) besonders schnell in den Fettzellen festgesetzt, um für die nächsten mageren Tage genug Vorrat zur Verfügung zu haben.

Eine viel größere Rolle spielt vermutlich die genetische Disposition, also unsere Veranlagung, welche z.B. auch die Anzahl der vorhandenen Fettzellen mitbestimmt.

Nicht vergessen werden dürfen auch die gesellschaftlichen Aspekte! Wie oft gehen in der heutigen Schnelllebigkeit Esskultur und fürsorgliche Nahrungsaufnahme unter, bzw. werden ersetzt durch Fastfood, Fertigessen aus der Mikrowelle und hochkalorischen Snacks. „Ess-Kultur" ist in immer weniger Familien zu finden; oft aus Zeitmangel werden Kinder unzureichend ernährt und lernen niemals, ein gesundes Maß an Nahrungsmengen und -inhalten zu finden. Sind die Eltern übergewichtig, werden die Kinder das oft auch. Und je früher sie das werden, umso schwieriger ist es später, sich die ungesunden Lebensweisen wieder abzugewöhnen. Zunehmend werden stationäre Behandlungsprogramme für fettsüchtige Kinder durchgeführt. Die meisten von ihnen werden daheim wieder rückfällig und erreichen schnell das alte Gewicht, auch wenn eine Gewichtsabnahme vorher erzielt werden konnte. Größer sind die Erfolge, wenn die Eltern in die Behandlung mit einbezogen werden. Inzwischen gibt es auch zunehmend ambulante Angebote zur Langzeitbetreuung von übergewichtigen Kindern und ihren Eltern.

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Was für Folgen hat die Adipositas?

Von den drohenden medizinischen Folgen haben wir alle bereits gelesen und gehört: es soll sowohl Zusammenhänge mit Bluthochdruck, Herzinfarktrisiko, Schlaganfällen, Diabetes und sogar Krebs geben. Aber das ist wie beim Rauchen – es gibt dann doch die Fälle von Menschen, die bis ins hohe Alter gesund bleiben! Entscheidend sind daher vermutlich noch viel mehr die psychischen Folgen. Wer mit seinem Übergewicht ein glückliches Leben führt, vielleicht etwas zu viel Nahrung zu sich nimmt, aber diese in vollen Zügen genießen kann, und viel mit anderen Menschen in Kontakt steht, hat wahrscheinlich auch weniger mit medizinischen Folgeerscheinungen zu tun. 

Wer jedoch aufgrund einer Adipositas mit einem extrem mangelhaften Selbstwertgefühl zu kämpfen hat, sich selbst ablehnt und aus Angst vor Ablehnung sozial isoliert, der kann auch aufgrund seiner sozialen Isolation krank werden! Oftmals werden Übergewichtige schon als Kinder sehr stark von ihrer Umgebung abgelehnt. Sie gewöhnen sich irgendwie an das „Abgelehnt sein", verinnerlichen den Glauben nicht gut genug zu sein, und gehen deswegen später auch selbst wenig sorgsam mit sich um (u.a. in der Nahrungsmittelauswahl).

 

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Wie wird Adipositas behandelt?

Aus dem oben Beschriebenen lässt sich also schlussfolgern, dass zur Vorbeugung und Behandlung der Adipositas nicht nur eine gute Aufklärung über Ernährung dienlich ist, sondern auch ein Aufräumen mit den Vorurteilen gegenüber Übergewichtigen in unserer Gesellschaft!

Adipositas kann gut ambulant behandelt werden, durch eine Kombination von Langzeit-Programmen zur Unterstützung in der Ernährung (bestenfalls in Gruppen, weil das die Motivation steigert!) ggf. mit einer begleitenden Psychotherapie. Diese wird v.a. dann notwendig, wenn es bereits zu erheblichen psychischen Begleiterscheinungen wie Selbstwertverlust, Depressionen und sozialen Ängsten gekommen ist. U.U. wird in solchen Fällen auch eine stationäre Behandlung erforderlich, da z.B. in einer Gruppentherapie schneller soziale Kontaktfähigkeiten wieder aufgebaut und gefördert werden können, und oft auch eine vorübergehende Distanzierung vom häuslichen Umfeld notwendig ist.

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Was ist das? Wer hat das? Was für Folgen hat das? Woher kommt das? Wie wird das behandelt?

Was ist eine Binge Eating Disorder?

Laut den offiziellen Diagnosekriterien spricht man von der BED (Binge = Essanfall), wenn

- eine große Menge von Nahrung in einem abgrenzbaren Zeitraum gegessen wird

- es währenddessen zu einem Gefühl des Kontrollverlustes kommt und

- die „Binges" mindestens 2x pro Woche seit mindestens 6 Monaten aufgetreten sind

- es danach nicht zu Erbrechen o.a. gewichtsreduzierenden Gegenmaßnahmen kommt!

(letzteres Kriterium grenzt die Störung von der Bulimia Nervosa ab! Die Abgrenzung zur Adipositas erfolgt über das Gewicht, also den BMI-Index)

 

Weitere Merkmale:

  • gegessen wird meist sehr schnell, mechanisch und im Geheimen

  • nach einem Essanfall erfährt man Gefühle wie Scham, Ekel und Schuld

  • gegessen werden „Süße/Füllende" und „verbotene/gefährliche" Nahrungsmittel

     

Auslöser sind meist:

  • unangenehme Gefühle (Angst, Einsamkeit, Trauer, Depression)

  • Hunger (aufgrund von Diäten)

  • Gewichtszunahme oder Brechen von Diätregeln

  • Langeweile/unstrukturierter Tagesablauf

  • Einsamkeit



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Wer hat diese Störung?

Frauen sind i.A. anfälliger für diese Störung als Männer, allerdings auch kulturbedingt (diese Störung tritt überwiegend in den „westlichen" Kulturen auf). Meist sind Jugendliche und junge Erwachsene betroffen. Essprobleme und andere Schwierigkeiten gab es meist schon in der Herkunftsfamilie.

Diäten sind der Hauptauslöser für Essattacken. Im Hintergrund gibt es oftmals auch traumatische Kindheitserlebnisse (Gewalt oder Missbrauch).

Ausschlaggebende Persönlichkeitsfaktoren sind meist

  •  geringe Selbstachtung/schwaches Selbstwertgefühl

  •  Perfektionismus

  •  Schwarz-Weiß-Denken

  •  Impulsivität

 

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Was für Folgen hat die BDE?

Sowohl die Ursachen als auch die Folgen für diese Störung sind meist psychologische und soziale Probleme, nicht nur die Sorge um das Gewicht.

Körperliche Folgen sind zunächst Völlegefühl, Bauchschmerzen und Atembeschwerden. Leider führt die BED oft zu ungesunden Diäten, welche durch Hungergefühle jedoch wiederum Essattacken auslösen.

Oft kommt es zu einem Teufelskreis von Diäten und Binges!!

Viele Patienten mit BED essen allerdings auch außerhalb der Essattacken sehr viel und halten seltener Diät als z.B. Bulimiker.

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Behandlung der BDE

Medikamentös: oftmals hilft tatsächlich eine antidepressive Behandlung, über Antidepressiva mit begleitender Psychotherapie, da dies die Grundstimmung des Patienten so anhebt, dass es leichter fallen kann, auf Essattacken zu verzichten.

Gute Wirkungen werden durch die Kognitive Verhaltenstherapie nachgewiesen. Diese beschäftigt sich mit konkreten Verhaltensweisen und den zugrunde liegenden Denkmustern, welche therapeutisch so verändert werden können, dass der Patient neue Einstellungen (und damit oft auch an Selbstvertrauen!) gewinnt. Dies ist die erfolgreichste Therapieform mit guten Langzeitwirkungen.

Unterstützend wirkt oft auch eine Gruppentherapie, da hierdurch auch die sozialen Kompetenzen der oftmals sehr einsamen Personen gefördert werden können.

Wichtig ist immer, die „Ursachen", aber auch die aufrecht erhaltenden Faktoren für das  Ess -

 

verhalten herauszufinden und zu bekämpfen. Parallel dazu werden neue Verhaltensweisen eingeübt und es wird geprüft, in welchen Situationen ein Patient besonders anfällig für Essattacken ist. Diese bestehen meist in Misserfolgserlebnissen, Einsamkeit, Langeweile oder Konflikten. Damit anders umzugehen wird in Selbstsicherheitstrainings, Tagesstruktur- maßnahmen (durch „Pläne") und Rollenspielen in der Gruppe trainiert.

Hilfreich sind unterstützend auch Selbsthilfegruppen („Overeaters Anonymous" bzw. „Food Addicts Anonymous") und der Aufbau von sozialen Kontakten in der Form von „Sponsorschaften" (der „Sponsor" ist hierbei eine Person, welche das Problem selbst gut kennt, und in schwierigen Situationen als Notansprechpartner zu Verfügung steht). Selbsthilfegruppen sind inzwischen in fast allen größeren und kleineren Städten zu finden, meist sind sie über ein Selbsthilfebüro organisiert, an welches man sich wenden und nähere Informationen erfragen kann.

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Zahlreiche Selbsthilfegruppen bzw. Informationen darüber gibt es inzwischen auch im Internet:

www.zwoelf-schritte.de

www.foodaddicts.org/de

www.bulimie-zentrum.de

dgbs.de/adressen/selbsthilfegruppen

 

Wer sich weiter über Ess-Sucht informieren möchte:

www.adipositas-gesellschaft.de

www.ernaehrung.de

www.uni-leipzig.de/essstoerungen

 

FORUM 

speziell für Binge Eating - Betroffene

 

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Zuletzt aktualisiert am:
18. Februar 2014 10.19 Uhr

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Veröffentlicht: 27. Februar 2004