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3. MÄRZ 2004 -
REUTLINGER GENERAL‑ANZEIGER Ausgabe HEIMAT & WELT Bulfimie - Essen, essen, und dann wieder erbrechen: Ein Medikament soll aus diesem Teufelskreis heraushelfen Ein Zufallsfund macht Hoffnung
VON
GISELA SÄMANN Manche
tun's schon seit 20 Jahren. Stopfen heimlich und immer wieder irrsinnige
Mengen an Nahrungsmitteln in sich hinein - und erbrechen alles kurze Zeit später.
Bulimie nennt sich das Krankheitsbild, an dem vor allem junge Frauen
erkranken. Im Gegensatz zur Magersucht sieht man die Bulimie den Betroffenen
nicht unbedingt an. Sie magern nicht ab zum Skelett, sie behalten meist ein
ganz normales Gewicht. Aber sie sind Gefangene ihrer Krankheit. Den Tag
kriegen die meisten Patientinnen noch irgendwie rum, aber spätestens
am Abend kommen die Heißhungerattacken. Schönreden nützt nichts: »Die
fressen«, sagt Dr. Vera Müller-Bock, Ärztin und Psychotherapeutin vom
Universitätsklinikum Ulm, Abteilung Psychosomatische Medizin und
Psychotherapie. »Zehntausend Kalorien auf einmal, Nahrungsmittel im Wert von
hundert Euro, wenn's sein muss.« Und dann? Zur Toilette, und alles
wieder raus.
Es
dauert meistens lange, bis Bulimikerinnen Hilfe suchen. Und dann greifen die
Therapiekonzepte längst nicht in allen Fällen. Ärzte und Psychotherapeuten
sind nicht allzu erfolgreich bei der Behandlung dieser Essstörung, was jüngst
eine groß angelegte Studie ergeben hat: Einem Drittel bis maximal der Hälfte
der Patientinnen kann mit den gängigen Verfahren geholfen werden - und auch
das oft nur vorübergehend, Die Rückfallquote ist hoch. Keiner soll sagen,
man hätte es nicht auf vielfältigstem Weg versucht: mit Psychoanalyse oder
Verhaltenstherapie zum Beispiel. Mit der interpersonellen Therapie, bei der
das familiäre Umfeld der Patientinnen mit einbezogen wird, um dort vorhandene
Konflikte zu beseitigen, die einer Heilung im Weg stehen. Medikamente werden
verabreicht, Antidepressiva vor allem. Aber: »Man kann von keiner dieser
Methoden sagen: Das ist das Mittel der Wahl,« weiß Vera Müller-Bock
inzwischen. Vielleicht
kann ein Zufallsfund einen neuen Weg in der Therapie weisen. Der Psychologe
Dr. Jörn von Wietersheim, Spezialist für Essstörungen am Ulmer Uniklinikum,
unterhielt sich mit einem Frauen Würzburger Endokrinologen. Der wiederum
behandelte Patientinnen mit Prämenstruellem Symptorn (PMS), die vor der
Periode unter Wassereinlagerungen litten, mit dem altbekannten Medikament
Spironolacton. Das entwässert ganz einfach. Aber die PMS‑Patientinnen
berichteten, dass auch die prämenstruellen Heißhungergefühle verschwanden
und sie sich psychisch einfach besser fühlten. Worauf Dr. von Wietersheim das
Medikament vorsichtig an einigen seiner Bulimie-Patientinnen testete.
Mit Erfolg. Die Fress-Anfälle wurden geringer, mit
dem psychischen Befinden ging es aufwärts.
Wäre doch schön, wenn das verträgliche und in den Nebenwirkungen gut
erforschte Spironolacton künftig die Rückfallquote verringern helfen könnte.
Ob dem so ist, wollen die Ulmer nun in einer Studie herausfinden. An rund
100 Patientinnen werden sie testen, ob Spironolacton tatsächlich auch
erfolgreich bei Bulimie eingesetzt werden kann Die
Untersuchung ist der wissenschaftlichen Beweiskraft wegen als
Doppelblind‑Studie angelegt: Das heißt, dass ein Teil der
Teilnehmerinnen das Medikament erhält, ein Teil nur ein wirkungsloses
Placebo. Wer in welcher Gruppe ist, wissen weder die Patientinnen noch die
behandelnden Ärzte. Das Ganze läuft pro Patientin über einen Zeitraum von
acht Wochen. Nach diesen acht Wochen erhalten aber auch die Patientinnen, die
vorher ein Placebo erhalten haben, das tatsächliche Medikament, so dass jede
Teilnehmerin ausprobieren kann, ob Spironolacton bei ihr wirkt. Rund
40 Bulimikerinnen haben bis jetzt schon an der Studie teilgenommen. Die Erfolge
sind durchaus ermutigend, weit über die Hälfte spürt eine deutliche
Verbesserung der Symptome. Das findet die Prüfärztin Dr. Müller‑Bock
umso bemerkenswerter, als ihre Klientel nicht unbedingt die einfachen Fälle
umfasst. »Wir haben zum Teil Frauen hier, die seit vielen Jahren oder sogar
schon seit Jahrzehnten Bulimikerinnen sind. Die haben oft schon drei oder vier
Therapien hinter sich, haben schon Medikamente bekommen und sind trotzdem
nicht von der Krankheit losgekommen.« Wenn die Studie zeigen würde, dass man mit Spironolacton die Symptome der Bulimie, also die Heißhungeranfälle, erst einmal in den Griff bekommt, darin könnten vielleicht jene Therapien besser greifen, die sich um die tieferen Ursachen im psychischen Bereich kümmern. Die
Erfolge sind durchaus, ermutigend, weit über die Hälfte spürt eine
deutliche Verbesserung der Symptome. Das findet die Prüfärztin Dr. Müller‑Bock
umso bemerkenswerter, als ihre Klientel nicht unbedingt die einfachen Fälle
umfasst. »Wir haben zum Teil Frauen hier, die seit vielen Jahren oder sogar
schon seit Jahrzehnten Bulimikerinnen sind. Die haben oft schon drei oder vier
Therapien hinter sich, haben schon Medikamente bekonmen und sind trotzdem
nicht von der Krankheit losgekommen.« Wenn die Studie zeigen würde, dass man mit Spironolacton die Symptome der Bulimie, also die Heißhungeranfälle, erst einmal in den Griff bekommt, darin könnten vielleicht jene Therapien besser greifen, die sich um die tieferen Ursachen im psychischen Bereich kümmern.
Die sind individuell und vielschichtig, aber dennoch kann Vera Müller-Bock Typisches bei den Patientinnen erkennen. »Sie kommen meist aus ganz normalen, oft eher gutbürgerlichen Familien mit einer hohen Leistungsorientierung. Die Mädchen übernehmen diesen Leistungsanspruch für sich selbst.« Und von außen kommt auch noch mal Druck: Erfolgreich sein, Karriere machen, gut aus sehen - »man lernt, die Figur zu designen«. Der, Preis
ist hoch: Die Fress-Brechanfälle müssen verheimlicht werden, die Betroffenen
führen ein Doppelleben und leiden unter tiefer Scham, Depressionen, oft auch
sozialer Isolation. Und sie ruinieren langfristig ihren Körper:
Herzrhythmusstörungen, Nierenprobleme, Zahnschäden und Speiseröhrenentzündungen,
Unfruchtbarkeit, Knochenbrüchigkeit zählt Vera Müller-Bock auf. Grund
gering, Hilfe zu suchen. (GEA) Bulimie-Patientinnen,
die an der Ulmer Studie teilnehmen möchten, müssen mindestens 18 Jahre alt
und normalgewichtig sein. Die
Betreuung erfolgt ambulant; insgesamt muss man während der Teilnahme, an der
Studie vier Mal zu Untersuchungen und Beratungen nach Ulm. Kontakt:
Vera Müller-Bock oder
Dr. Georg Bühler Tel.
0731/50 02 45 46
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