50 HEIMAT + WELT                                                                              SAMSTAG, 27. MAI 2006 – REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER
 
 

Essstörungen - Übergewicht hat oft psychische Ursachen. Futtern lenkt von schmerzhaften Gefühlen ab

Wenn die Seele Heißhunger hat

VON ROSEMARIE KAPPLER

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Wer an Hunger denkt, denkt gewöhnlich an Essen. Doch der Mensch braucht zum zufriedenen und gesunden Leben auch geistige und emotionale Nahrung. Mangel oder Überfluss an beidem äußert sich in körperlichen und psychischen Missempfindungen und Störungen.
        

Insofern sehen Gesundheitsexperten in dem alarmierenden Umstand, dass jeder dritte Erwachsene und jeder fünfte Jugendliche in Deutschland übergewichtig ist, längst nicht mehr nur ein Problem von Nahrungsqualität und -menge in Kombination mit mangelnder Bewegung. Immer deutlicher wird, dass dicke Bäuche im Kopf beginnen und Resultat verletzter Seelen und mangelnder  Selbstwertgefühle sind. Das Wort Kummerspeck spricht in diesem Zusammenhang Bände, ebenso am anderen Ende der Fahnenstange der Begriff Magersucht.   

Ernährungsexperten wie der Göttinger Universitätsprofessor Dr. Volker Pudel schätzen die jährlichen »Reparaturkosten« für ernährungsabhängige Krankheiten auf 50 Milliarden Euro. Gemeint sind damit nicht nur die Folgen einer Fehlernährung durch falsche, ungesunde oder minderwertige Nahrungsmittel. Letztere bedingen zwar eine Ernährungsstörung. Doch mit ausreichender Information und der Bereitschaft zur Annahme des aktuellen Wissensstandes wären diese relativ einfach zu beheben. Häufig aber verbirgt sich hinter einer Ernährungsstörung eine Essstörung. »Essstörungen stellen eine individuelle Reaktion auf ungelöste Lebensprobleme des Betroffenen dar«, sagt Dr. Mathias Jung, Psychotherapeut am Dr.-Max-Otto-Bruker­Haus in Lahnstein.

Übergewicht sei streng genommen eine Esssucht. »Hinter dem physischen Hunger liegt ein psychischer Hunger - oft der nach Liebe - verborgen, was dem Übergewichtigen allerdings nicht bewusst ist«, sagt Jung. Auch die Experten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung schlagen in die gleiche Kerbe. »Essstörungen sind psychosomatische Erkrankungen mit Suchtcharakter«, heißt es in einer Informationsschrift der BZGA. Solche Störungen seien nur zu beheben, wenn Betroffene grundsätzlich einen anderen Bezug zu ihrem Körper und zum Essen finden Es gehe vor allem darum, zu erkennen, dass Essen oder Nicht-Essen eine Ersatzfunktion habe.

  Oft ist die Beschäftigung mit Nahrung eine Art von Abwehrleistung, um schmerzhafte und »gefährliche« Gefühle wie Wut, Trauer, Enttauschung, Sehnsucht, Aggression und Lust nicht spüren zu müssen.
»Wenn Nahrung oder der Verzicht auf Nahrung dazu benutzt wird, Gefühle zu unterdrücken oder Konflikte zu vermeiden, sind das eindeutige Hinweise auf eine Essstörung«, heißt es bei der BZGA. Essstörungen seien auch eine Antwort auf Überforderung, innere Leere, Angst vor Nähe, vor
Ärger aber auch vor Freude. »Die Esssucht ist wie ein emotionaler Krebs, der ebenso zerstörerisch und im Extremfall tödlich sein kann, wie ein körperlicher Krebs«, sagt Jung und rät zur »Schattenarbeit«. Das bedeutet, in das dunkle Zentrum seines Selbst hinabzusteigen, sich mit all jenen Abgründen zu konfrontieren, die man lieber im Schatten verborgen lassen möchte. Ein Prozess, der spannender, abenteuerlicher, actionreicher und auch komischer sein kann als sämtliche Unterhaltungsangebote im Fernsehen. Jung: »Ich muss einfach wieder lernen, mich den Konfrontationen meines Lebens zu stellen und sie nicht durch Essen wegzuschlucken.«

Der Prozess des Umdenkens besteht aus vielen Einzelschritten. Der erste: bedingungslose Kapitulation. Gemeint ist die Einsicht, dass es so nicht weiter gehen kann; das Eingeständnis, die Situation selbst herbeigeführt zu haben; die Bereitschaft, Hilfe zu suchen und Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. (GEA)

www.bzga-essstoerungen.de Mathias Jung: »Übergewicht«, emu Verlag, 11 Euro

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Übergewicht
- der Kampf mit dem eigenen Körper

von Mathias Jung
Erschienen:
November 2005, 11,--, gebunden, 213 Seiten, ISBN: 3891891148
Kurzbeschreibung:
Essstörungen sind ein zweifaches Drama. Die Betroffenen essen das Falsche - nämlich vorwiegend ungesunde, denaturierte Zivilisationsprodukte - und sie sind nicht mehr fähig, ihr Essverhalten zu kontrollieren. Vergeblich versuchen vor allem übergewichtige Frauen, mit verschiedensten Diäten ihr Gewicht zu reduzieren. Oft lehnen sie den eigenen Körper ab und verachten sich. Essstörungen sind jedoch meist eine individuelle Reaktion auf quälende Lebensbedingungen. Hinter dem physischen Hunger ist noch ein psychischer Hunger verborgen. Neben der Ernährungsumstellung setzt eben hier die Heilung ein.

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